In erster Linie bringt das Projekt den Kindern das Erleben und Kennenlernen ihrer Stimmen. In vielen Familien wird nicht mehr gesungen, und wenn, dann wird in zu tiefer Lage mit CDs mitgesungen, die eigene Stimme wird nur schlecht gehört, es klingt irgendwie richtig, weil die CD mitläuft. Auf diese Weise wird das Erlebnis Singen, das Hören und Fühlen der eigenen Stimme unmöglich gemacht. Ein Körpergefühl, ein Fühlen der Resonanz, stellt sich nicht ein. Die Kinderstimmen werden bis zu einer Quinte unterhalb ihrer eigentlichen, gesunden Lage benutzt, es wird fast nur mit Bruststimme gesungen, der Gebrauch der Kopfstimme ist den Kindern praktisch nicht möglich.

Im Projekt “Die Stimme erleben“ wird konsequent auf den Einsatz von CDs verzichtet. Gesungen wird a capella, manchmal mit Klavierbegleitung. Benutzt wird Material, das auf die besonderen Anforderungen der (ungeübten, oft falsch gebrauchten) Kinderstimmen abgestimmt ist: Leise Tongebung, Anlaute, die die Kopfigkeit der Stimme fördern, Vermeiden von “brustigen“ Vokalen, kein tiefes, lautes Singen etc. Der Tonraum wird von der Rufterz gl - ei langsam erweitert bis zum “guten“ Umfang der Kinderstimme von c1 bis f2. Die Melodien und Harmonien orientieren sich am traditionellen
Kinderlied-/Volksliedgut, die weitaus besser und reichhaltiger sind als “moderne“ Kinderlieder. (Material: “Handbuch der Kinderstimmbildung“, “Praxis Kinderstimmbildung“, “Lieder, Spiele, Kanons“ (alles A. Mohr, Schott-Verlag), eigenes Material.

Gleichzeitig bringt das Projekt durch den Einsatz von relativer Solmisation und Rhythmussprache (ta, titi, tao... nach Kódaly) eine musikalische “Grundausbildung“. Die Solmisationssilben sind sängerisch hervorragend geeignet, die “gute“ Stimme “hervorzulocken“, gleichzeitig vermitteln sie ein Gefühl für die Intervallbeziehungen im diatonischen System und machen Funktionen wie Tonika oder Leitton erfahrbar, und zwar theoriefrei, einfach durch häufiges Wiederholen der Intervalle (wie zum Beispiel so-mi) in verschiedenen Tonarten bei gleichzeitiger Klavierbegleitung.
Da die Übungen auch rhythmisiert sind, wird gleichzeitig das rhythmische Empfinden geschult. Ergänzend wird mit der Rhythmussprache von Kódaly gearbeitet, diese ergänzt die Solmisation optimal.
Großer Vorteil der Übungen ist, dass durch die musikalische Eingängigkeit der Melodien (nicht zu verwechseln mit der Trivialität vieler neuer Kinderliede) und die meist schwungvolle Klavierbegleitung alle Kinder schnell beim Singen ein Erfolgserlebnis haben. Kinder, die Schwierigkeiten mit der Tongebung haben, werden von den anderen Kindern “mitgenommen“. Da die Übungen häufig wiederholt werden, können nach kurzer Zeit alle Kinder mitsingen, bei einigen Kindern löst sich das “Brummer“-Problem so von selbst. Musik wird als schwungvoll und mitreißend, die eigene Stimme wird als schön erlebt.